Coroanazeiten für Papa Schulz

Spucktest daheim

März 2021

Februar 2021

Papa Schulz allein zu Haus

Es wird gegessen, was auf den Storyteller kommt?

Ohne Worte

Erster Lockdown

Zwischen Einsamkeit und Galgenhumor

Die Coronazeit lehrt/e mich viel, auch für meine Art der Selbsthilfefotografie. Was meine Person betrifft, so bin ich noch bewusster, bedachtsamer und einsiedlerischer geworden. Auch meine heutigen Bilder zeigen sich reduzierter. Habe ich vor Corona zumeist in Farbe geschwelgt - weil der chronische Schmerz den Farbfilm vergessen hat - so präsentiere ich heute ein Drittel aller Fotos schwarz-weiß. Was nicht bedeutet, dass mein jetziges Leben weniger bunt ist. Doch liegt mein Fokus noch mehr auf dem Wesentlichen. Auch die Menschen, die heute vor meine Kamera kommen möchten, sind mehr als je zuvor nicht (!) an oberflächlichen Fotos interessiert.

Fotografieren in Coronazeiten? Therapeutisches Fotografieren, Emofotologie oder was?

 

Von allem etwas. Es ging ans Eingemachte und bis an die Frage: „Was bleibt?“ Damit es nicht zu traurig wurde, haben wir hier und da - also eigentlich wie immer - mit dem Galgenhumor zusammengewirkt.

 

Vorweg sei gesagt: Alle diese Bilder sind zu Beginn der Pandemie entstanden, als es noch galt die strengsten Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten. Als ehrenamtliche Selbsthilfefotografin und Risikopatientin war auch ich in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. Insbesondere waren keine Treffen mit den Selbsthilfemodels / Betroffenen auf meiner Warteliste möglich. Was mir blieb, war mein „Papa-Model“. Als Angehöriger meines Haushaltes durfte mein Vater vor meine Kamera und konnte daraus tatsächlich auch seinen Nutzen ziehen.

 

Liebe, Glaube, Hoffnung, Galgenhumor? Oder: Wenn nur noch das Essen und Trinken, den Leib und die Seele zusammen-halten? Oder: Kann man Menschen zu Tode schützen?

 

Mein Vater, ein überaus kommunikativer Mensch und ein Optimist wie aus dem Buche, vermisste all die zwischenmenschlichen Kontakte, die er normalerweise pflegen darf. Ihn, als einen der geselligsten Menschen überhaupt, traf das Kontaktverbot extrem. Nicht nur, weil er seinen 85. Geburtstag nicht groß feiern durfte.

 

Es lag mir also im wahrsten Sinne des Wortes nahe, das Corona-Thema fotografisch anzugehen. Und sowohl für „Papa Schulz“, wie er von allen genannt wird, als auch für mich hatten die Fotoshootings einen therapeutischen Effekt. Er hatte Abwechslung, musste sich gedanklich darauf einlassen und sich auch ein bisschen bewegen - körperlich wie geistig. Und auch ich sortierte meine Gedanken.  

 

Die Alten wegsperren, einsperren, aussperren?

 

Nachdem ich leere Straßen in „Coronacity“ fotografiert und mich dabei wie im falschen Film gefühlt hatte, wollten wir uns auch mit dem Thema der inneren Leere fotografisch beschäftigen.

 

Mein Vater hatte auch als Pflegefall seinen Lebensmut nie verloren. Nicht zuletzt, weil er neue Freude und Freunde in der Tagespflege, die er normalerweise 3 x die Woche besucht, finden durfte. Im Paritätischen Uelzen. Doch plötzlich war isoliert. Corona-regelkonform.

 

Ich habe ihn und mich gefragt: „Wie fühlt man(n) sich dabei? Wie müssen sich die alten Menschen fühlen, die niemanden so dichte bei sich haben? Was passiert in und mit jenen Menschen, die nicht zu den Optimisten zählen? Wie ist das, vor lauter Einsamkeit zu sterben?“

 

Mein Vater hatte noch das „Glück“, dass er sich jeden Tag mit mir streiten konnte. Natürlich gingen wir uns auch auf die Nerven. Jeden Tag erzählte er dieselben Geschichten oder fragte jedes Mal, wenn er mich sah: „Was gibt´s Neues?“ Wenn er mich nicht sah, dummdudelte ihn der Fernseher nonstop und auf voller Lautstärke in einen lähmenden Halbschlaf. Auch für meine Mutter war diese Zeit hart. Kein ablenkender Einkaufsbummel, kein Kaffeetrinken in der Stadt. Ihre Gesellschaft bestand aus meinem Vater, mir und unserem Hund.

 

Manchmal fragten wir uns: Wollen wir um jeden Preis dem Leben mehr Tage geben? Oder doch lieber den letzten Tagen mehr Leben? Würde die Selbstmordrate allerorten steigen? Lässt sich "Tod durch Einsamkeit" diagnostizieren? Ich bin ein Zuversicht verbreitender Mensch, doch ich musste mich diesen Fragen stellen und habe diese für mich auch beantwortet. Auch mithilfe der Coronashootings.

 

Alle unsere damaligen Fotoszenarien habe ich mit Papa Schulz vorher diskutiert. Er, der mittlerweile als „unterbezahltes“ Teilzeitseniorenmodel weiterjobben möchte, ist immer noch stolz auf seine Bilder. Es war ihm auch wirklich wichtig, dass echte Gefühle und seine Gedanken zum Ausdruck kommen.

 

Wenn er nicht mir darüber reden konnte, hat er mit Pixel-Paul geplaudert. Pixel-Paul, eine lebensgroße alte Puppe aus meinem Requisitenfundus war der einzige Altersgenosse, mit dem er sich hatte treffen dürfen. „Wie konnte es so weit kommen, dass ich mit einer Puppe rede?“

 

Wer wie mein Vater nicht selbstständig über die digitalen Medien mit anderen Menschen zu kommunizieren vermag, hatte mehr als ein Problem: „Wir Alten dürfen gar nix mehr.“ Er fühlte sich ein- und ausgesperrt. Vor Coronaviren hatte er keine Angst: „Ich habe den Krieg, Typhus und den Schlaganfall überlebt. Da wird mich so eine Grippe nicht umbringen.“ Er möchte das Leben, das ihm noch bleibt, leben. Erleben. Gesellig. Nicht in der Isolation. Er hat respektiert,  dass andere geschützt werden wollten und sich an die Regeln gehalten. Aber über Sitz- oder Liegestreik hat er schon nachgedacht: „Wenigstens für ein Foto?“

 

Selbstverständlich haben wir unter Einhalt der höchsten Sicherheitsvorkehrungen geshootet. Zwar hat die schwarze Pest unter der Kapuze und hinter den Masken Schnappatmung bekommen, aber wat mutt, dat mutt: Alltagsmasken, Sicherheitsabstand, Spuckschutzscheiben, Abstandshalter, Kameras in Folie, Einmalhandschuhe, Desinfektionsspray … und viel Frischluft. Damit mein Papamodel nie frieren musste, lagen an den kühleren Fototagen Heizkissen auf den Sitzmöbeln. Die Fotos sind im März, April und Mai entstanden.

 

Für uns bestand, was die Fototage betrifft, die größte Gesundheitsgefahr vermutlich darin, einen Lachmuskelkater zu erleiden. Doch natürlich kullerten ab und an die Tränen. Die Emofotologie, ist keine Fassadenfotografie, sondern hilft zu hinterfragen. Was letztlich auch der Selbstorientierung zu dienen vermag. Papa Schulz und ich wurden uns jedenfalls bewusst, welche Konsequenzen wir aus jener Coronazeit ziehen möchten.

 

Wie ich heute weiß, haben sich einige Menschen damals weniger einsam gefühlt haben als zuvor. Weil plötzlich so viele einsam waren und geteiltes Leid halbes Leid ist. Weil Gedanken aufkamen, im Sinne von: „Jetzt merkt ihr mal, wie ich mich immer fühle“. Jene Betroffenen hofften, dass sich durch die Coronakrise für sie etwas nachhaltig ändern könnte. Denn: Nichts ist schlimmer, als sich einsam zu fühlen, wenn es alle anderen scheinbar nicht sind. Einsamkeit ist die eigentliche Volkskrankheit Nummer 1.

 

Die Vorbereitungen

 

Mit meinem Seniorenteilzeitmodel konnte ich vor jedem Fototag die jeweilige Thematik in Ruhe diskutieren. Zusätzlich habe ich Storyboards erstellt und bei Bedarf improvisiert – letzteres auch im Hinblick auf die jeweilige Tages- bzw. Stundenform meines Vaters. Mir ist bewusst, dass die Lichtverhältnisse meistens nicht ideal waren, genauso wenig wie die Shootingplätze. Weil wir immer nur einige Meter gehen und nie lange machen konnten. Dafür sind alle gezeigten Emotionen echt. Auch wenn ich die Porträtsituationen teilweise inszeniert habe, wie z.B. das Arrangement mit dem Weck-Glas. Ihn hat es – trotz aller Vorbesprechungen - völlig umgehauen als er „sein Eingemachtes“ in die zittrigen Hände nehmen sollte - als er wirklich begriffen hat. Es hat ihn auch umgehauen, als er an dem zerschnittenen Maßband bewusst gesehen hat, wie wenig Lebenszeit ihm schätzungsweise noch bleibt.

 

Die Nachbereitungen

 

Nach jeder Fotositzung habe ich eine Bildervorauswahl getroffen und diese einige Stunden später von meinen Vater auf einem großen Bildschirm anschauen lassen und mit ihm besprochen. Außerdem habe ich jedes Mal eine Auswahl und einen Begleittext bei Facebook veröffentlicht. Die darauffolgenden, stets motivierenden Kommentare und Grüße, habe ich ihm vorgelesen und seine Antworten gepostet. Somit hat ihn jedes Shooting über mehrere Tage hinweg aktiv beschäftigen können.

 

Fazit: Für meinen Vater waren die Fotoaktionen die schönstmögliche und sinnvollste Abwechslung in jenen Coronazeiten – und zugleich verblödungsvorbeugend. Er zeigt seine Bilder immer noch gerne und ist jetzt stolzer Besitzer einer Modelmappe. Zu alledem werden einige dieser Aufnahmen Teil einer Ausstellung. Und er wird sich weiterhin von mir ablichten lassen. Bis zum Schluss.

 

Unser Auto / Mein Emo-Mobil

 

Ein Hort der Geborgenheit. Der faradaysche Käfig auf vier Rädern schenkt uns Sicherheit. Auch in Zeiten von Corona fühlen wir uns darin sicherer als woanders. Sicherer als draußen zumindest. Und wir halten so auch den Mindestabstand ein.

 

Durch die Windschutzscheibe blickend, die auch als Spuckschutz fungiert, erscheint uns die Draußenwelt weit genug, aber nicht zu weit weg.

 

So nutzte ich - ganz bewusst - mein kleines Auto auch als Homeoffice und packte Kameras, Spickzettel, Notfallhandy und Wasserflasche ein. Um in die Stadt zu fahren. Einerseits, um für uns einzukaufen. Andererseits, um auf diesem Wege Straßenfotos zu schießen.

 

Ich weiß: Die Straßenfotografie beinhaltet eigentlich auch Menschen. Doch es gab kaum welche auf den Bürgersteigen zu sehen. Endzeitstimmung herrschte und eigentlich hatten nur noch nur die rollenden Büsche zwischen den leeren Häuser-schluchten gefehlt. Immerhin hatte ich keine Probleme mit den Datenschutzbe-stimmungen. Kein Mensch – keine Daten.

 

Ich, die sonst immer Menschen ablichtet, kam mir wirklich vor wie im falschen Film. Zwar bin ich gerne alleine, aber die spürbare, soziale und räumliche Ein-samkeit, die sich auch in den Bildern jener Tage widerspiegelt, verstörte mich.
Am schlimmsten war es für mich die leeren Spielplätze zu sehen.

 

Warum ich dennoch versucht hatte, mich der Street-Photopraphy zu nähern? Weil ich viele andere fotografische Bereiche noch ausprobieren kann. Straßenfotos zu Coronazeiten jedoch hoffentlich nie wieder. Und da ich nicht so super zu Fuß bin - ich kann nicht stundenlang durch die Gegend laufen und auch nicht lange stehen - war das mit dem Auto nicht meine doofste Idee.

 

Meine Eltern und ich wohnen außerhalb der Stadt. Am Knackarsch der Welt. Bei uns auf dem Immenhof gibt es 7 Häuser und eine Straße. Also bin ich nach Uelzen gefahren. Und da ich coronamaßnahmenbedingt keine Umwege machen sollte und das Ganze mit unseren Lebensmitteleinkäufen kombinieren wollte, habe ich zuerst vom obersten Parkdeck eines Supermarktcenters aus fotografiert. Jenes Marktcenterparkhausdeck ist „normalerweise“ immer so voll, dass ich nicht mal mit meinem Fiat 500 ein Plätzchen finde. Damals standen da oben nur drei Autos.

 

Am Rande der Innenstadt hat es sich besonders seltsam angefühlt mit der Kamera zu agieren. Sowie ich doch mal aus dem Auto gestiegen bin, bin ich aufgefallen. Da gab es kein mit der Umgebung verschmelzen, wie es Straßen-fotograf*innen so gerne tun. Ich wurde von Fenstern und Balkonen aus beobachtet. Argwöhnisch oder als willkommene Abwechslung? So oder so mochte ich die Kamera nicht auf die Balkone, Fenster oder Terrassen richten, obwohl dort interessante Szenen zu sehen waren. Doch ich wollte weder irritieren noch ungefragt intime Bilder machen. Ein Aktfoto in Absprache zu machen, ist nicht halb so intim, wie heimlich eine angezogene Balkonszene abzulichten. So ist mein Empfinden.

 

Ich habe an der Straßenfotografie, trotz der widrigen Umstände, etwas Gefallen daran gefunden. Weil ich viel mehr bemerken konnte als mit ohne Kamera. Natürlich habe ich mich auch etliche Male geärgert, weil ich tolle Momente verpasst habe. Z.B. als eine Fahrradfahrerin mit extrem viel Klopapier im Korb an mir vorbeiradelte, ohne dass ich sie fotografieren konnte. Ich hatte sie im Rückspiegel entdeckt, sofort die nächste Parkbucht angesteuert und mir die Kamera geschnappt. Doch dann hat mir ein LKW die Sicht und die Chance auf das Bild genommen. Mehr Glück hatte ich bei dem Pfoto mit dem kleinen Hund. Ich hatte wieder nur Sekunden für das Bild. Bremsen, Scheibe runter, Kamera hoch und das Bild war im Kasten.

 

Mit den wenigen Passant*innen, die mir in jenen Stunden zu Fuß begegnet sind, kam ich ins Gespräch. Insbesondere, wenn ich Details fotografiert habe und sie wissen mochten, was mich daran interessierte. Weil mittlerweile – Smartphone lässt grüßen - die meisten Menschen fotografieren und die meisten damals auch nach echten Unterhaltungen lechzten, ergab sich Gesprächsstoff ohne Ende. Dann waren da noch die misstrauischen Menschen, die tatsächlich – zumindest aus der Entfernung – argwöhnten. Weil es Kriminelle gibt, die fotografisch Einbruchs-möglichkeiten auskundschaften und entsprechende Infos verschicken. Da solche Kriminellen jedoch eher mit Smartphones fotografieren, bin ich mit meiner Spiegelreflexkamera als mögliche Täterin ganz schnell wieder ausgeschieden.

 

Es gab auch noch Menschen, die mit aufs Bild mochten und das auch veröffentlicht sehen wollten. Und es gab Menschen, die alles taten, um nicht mit aufs Bild zu kommen. Da wir damals alle nicht zum Friseur gehen konnten, haben jene überwogen.

 

Ein Fazit: Die Street Photography ist für mich mehr als eine Möglichkeit etwas oder eine Zeitspanne dokumentieren zu können. Ich habe begriffen, dass ich damit auch meine ganz eigenen Gefühle zum Ausdruck bringen kann. Dass ich mit meinen Aufnahmen versucht habe, zu transportieren, was ich in jenen Zeiten empfunden habe. Mir ist klar geworden, dass ich mithilfe von Stimmungsbildern Geschichten erzählen kann, die Raum für Interpretationen lassen. Ich empfinde das als spannend und denke, dass es auch dafür viel Verantwortungsbewusstsein braucht. Eben weil es möglich ist, mit Bildern Stimmungsmache zu betreiben.

 

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