Auf vielfachen Wunsch hier zum Nachlesen.
Liebe Alle!
Ich weiß zu schätzen, dass ich hier und heute leben und mitreden darf. Doch ein Satz, den ich immer häufiger höre, lautet: „Ich kann sowieso nix ändern.“ Dem widerspreche ich mit: Gemeinsam KÖNNEN wir viel erreichen.
Ein Beispiel: es ist noch nicht lang her, dass ich NICHT so einfach meine Meinung hätte kundtun dürfen. Erst vor 107 Jahren - im Januar 1919 - haben Frauen in Deutschland zum ersten Mal das Wahlrecht in Anspruch nehmen dürfen. Dafür sind Menschen auf die Straßen gegangen. Zum Glück gibt es auch heute Menschen, die für eine erstrebenswerte Gegenwart und Zukunft auf die Straßen gehen.
Danke, dass ihr heute hier seid. Auch ihr macht, dass mein Glaube an das Wir stärker ist als all meine Ängste. Aber - glauben allein genügt nicht. Wir müssen auch was tun:
Lasst uns mehr miteinander reden. Sprache ist wichtig. Miteinander anstatt übereinander zu sprechen ist noch wichtiger. Lasst uns interessiert aneinander sein und neugierig bleiben.
Kommunikation benötigt Wohlwollen und Integration beginnt auf beiden Seiten.
Darum stehe ich hier auch für UNSER kleines Stadtatelier für kreative Inklusion - als dessen ehrenamtliche Leiterin. Es heißt wirklich: UNSER kleines Stadtatelier und nicht DAS kleine Stadtatelier. Weil für uns dort das WIR zählt. JEDES Wort kann wichtig sein. JEDER Mensch ist wichtig.
In Zeiten von Corona wurde prophezeit: das Händeschütteln würde aussterben und wir Menschen würden dauerhaft auf Abstand bleiben. Fakt ist: Ich halte heute viele Hände länger und umarme mehr Menschen als je zuvor. Jeder Mensch möchte irgendwo dazugehören. Leider wurde in Zeiten der Pandemie ein Unwort geprägt, das auch heute erschüttert: Nicht systemrelevant.
Wie kann ein Mensch als nicht systemrelevant eingestuft werden? Und von wem? Von einer KI, wie jener, die diese Woche auf Facebook eines meiner selbsthilfefotografischen Fotos gegen Gewalt gegen Frauen gelöscht hat?
KI, KA, KO? Unsere Welt braucht authentische Stimmen von echten Menschen. Für die Wahlen, das Klima, den Frieden …
Doch wie können wir hoffen, dass die Kriege dieser Welt enden, wenn wir nicht mal mit unserer Nachbarschaft in Frieden leben können? Lasst uns vor unserer Haustür beginnen. Lasst uns vorleben, was wir uns wünschen. Ohne Hetze, ohne Gewalt.
Lasst uns diskutieren, lasst uns auch streiten, aber dabei bedenken: Es heißt DiskussionsKULTUR, StreitKULTUR, SprachKULTUR …
Bei uns im Atelier gibt es nur wenige Regeln. Eine davon lautet: Schimpfwörter werden gesungen. Ich weiß, ganz so einfach funktioniert es nicht immer, doch: Wenn es eine kleine Löwenzahnpflanze schafft durch eine harte Asphaltschicht zu wachsen, können auch wir einen Weg aus der Verhärtung schaffen.
In Unser kleines Stadtatelier finden in der Mehrzahl Einheimische aus dem Landkreis. Gleichzeitig Zugezogene, Urlaubende oder Geflüchtete aus mittlerweile 11 verschiedenen Ländern (Irland, Malta, Spanien, Türkei, Afghanistan, Ukraine, Russland, Frankreich, Holland, China, Iran ...)
Jeder Ateliertag ist für uns wie eine Wundertüte – wir wissen nie, wer als Nächstes durch die Tür kommt. Was lernen wir dadurch und voneinander? Jeder Mensch ist wichtig und wir alle ergänzen uns.
Eigentlich: Leider zeigt die Statistik: Einsamkeit ist die Volkskrankheit Nummer 1 und soziale Phobien nehmen zu.
So merken wir bei uns täglich: neben all den Möglichkeiten, die wir in unseren Räumlichkeiten bieten, ist das Wichtigste einfach, dass wir da sind. Für das analoge Wir - das Miteinander im echten Leben.
Ich lebe, was ich tue, und liebe die Menschen, die zu uns kommen. Wir inspirieren uns und haben gelernt – LERNEN MÜSSEN – kreative Lösungswege zu finden. Wie sagte schon Albert Einstein? „Kreativität ist Intelligenz, die Spaß macht.“
Wir sind also auch eine Chance für die Gesellschaft und nicht nur anders, alt, gehandicapt oder aufmüpfig. Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen sind nicht zufällig. Darum nutze ich alle mir zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel, um deutlich zu machen, dass wir eine bunte Welt voller Respekt, Akzeptanz und Töleranz brauchen und (!) dafür einstehen müssen.
Ich stehe hier auch: um darauf aufmerksam zu machen, dass 90 % unserer Ateliermenschen als lebensunwert gelten würden, würde sich die Geschichte tatsächlich noch stärker wiederholen.
Ach - das könnte doch nicht passieren? Oooch.
Eine unserer Praktikantinnen kommt aus Afghanistan. Was sagt jene vielseitig begabte, kluge, sensible und interessierte junge Frau über unser Land?
„In Deutschland fehlt es an Liebe.“ Diese Worte einer Frau, die aus einem von Krieg, Naturkatastrophen und großer Armut gezeichneten Land kommt, einem Land, in dem Frauen nichts zu sagen haben, sollten uns zu denken geben.
Einer unserer iranischen Besucher sagte mir: „Wir Menschen sind ein Organismus. Tun wir einem Menschen weh, tun wir uns selbst weh.“
Eine meiner deutschen Nachbarinnen wünscht sich: „Dass wir die Wahl in allen Bereichen haben dürfen und uns nicht immer rechtfertigen müssen.“
Mein Wunsch ist, dass der Begriff Inklusion nicht nur benutzt, sondern auch verstanden wird. Inklusion ist doch: wo ALLE mitmachen dürfen. Die ganze Welt.
Weil: Der Sinn des Lebens, der ist das Leben.
In diesem Sinne
Wir singen die letzte Strophe von: Der Sinn des Lebens
Ich kann fühlen - also bin ich,
ich darf wählen - also stimm ich
und ich male - ganz ohne Haken,
meine Kreuze auf das Ankreuzfeld,
II: weil ich weiß, der Sinn des Lebens - ist alles Leben auf der Welt. :II
(Wir singen die letzte Zeile 3 x)
Unser kleines Stadtatelier für kreative Inklusion
www.emofotologie.de